Das Interview führte Joachim Kübler

Mit der Gründung des Pflegenetz Bad Kreuznach bildeten sich einige Arbeitsgruppen – eine davon ist die Gruppe Ehrenamt, weil sich die Koordinator*innen der Ehrenamtler in den jeweiligen Institutionen schnell einig waren, dass eine Zusammenarbeit nur nützlich sein kann. Deshalb trifft man sich jetzt etwa drei bis viermal im Jahr, um sich auszutauschen und Ideen und Konzepte zu entwickeln. Koordinierend macht das Diakonin Annette Stambke, die im Geschäftsbereich Seniorenhilfe der Stiftung kreuznacher diakonie bzw. im Elisabeth Jaeger Haus für die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen zuständig ist.

Was war der Grund für die Arbeitsgruppe Ehrenamt innerhalb des Pflegenetzes?

Ohne das Ehrenamt wären viele Hilfestellungen und Unterstützungen nicht möglich, weil die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen in allen Pflegeinstitutionen mehr als ausgelastet sind. Deshalb sind wir alle sehr dankbar, dass es Menschen gibt, die sich praktisch engagieren. Beim Ehrenamt gibt es sogar im Seniorenbereich ein großes Spektrum an Möglichkeiten. Wir besprechen bei den Treffen der Koordinator*innen aktuelle Erfahrungen, Anliegen und Probleme, beraten über mögliche Problemlösungen, tauschen uns über unsere Angebote aus und planen auch eventuelle gemeinsame Aktionen.

Gibt es denn genug Ehrenamtliche?

Vor Corona gab es mehr Menschen, die sich in diesen Bereichen engagierten und die man kontaktieren könnte, wenn Unterstützung nötig war. – Für das Elisabeth Jaeger Haus kann ich sagen, dass der Kern an ehrenamtlichen Unterstützenden fast erhalten geblieben ist. Doch könnte in allen Bereichen des ehrenamtlichen Engagements bei den Einrichtungen im Pflegenetz weitere Unterstützung gebraucht werden.

Wie alt sind diese Personen in der Regel?

Ich kann, glaube ich, für alle Institutionen sagen, dass der Personenkreis eher 60 Jahre und älter ist.

Warum gibt es so wenig jüngere Menschen im Ehrenamt?

Ob ich mich ehrenamtlich engagieren kann oder will, hängt auch stark von der jeweiligen Lebenssituation und dem Faktor Zeit ab – und die hat man eben eher im Rentenalter. Jedoch engagieren sich immer wieder auch junge Menschen, allerdings meist nur für kurze Zeit: in Verlängerung eines Praktikums, zwischen Schule und Ausbildung oder in einer Zeit ohne Arbeitsstelle. 

Wie könnte man das ändern?

Schön wäre es zum Beispiel, wenn ehrenamtliches Engagement in den Betrieben gefördert würde und eine Freistellung durch Arbeitgeber für einige Stunden im Monat vertraglich geregelt werden könnte.

Was halten Sie vom Bundesfreiwilligendienst oder einem verpflichtenden sozialen Jahr für Schulabgänger?

Grundsätzlich sind wir uns einig, dass ein solcher Dienst Einblicke ins echte Leben gibt, junge Menschen reifen lassen kann und auch für den gesellschaftlichen Zusammenhang wichtig ist. Zudem könnte es gerade im Bereich der Altenarbeit bzw. der stationären Altenpflege den einen oder die andere, wie früher beim Zivildienst, davon überzeugen, dass der Bereich ein Spektrum wertvoller Ausbildungen ermöglicht. Grundsätzlich muss es, egal ob freiwillig oder verpflichtend, aber passen. Das gilt übrigens gleichermaßen für die Menschen 60+. Nicht jeder Mensch bringt für jede ehrenamtliche Tätigkeit die körperlichen und psychischen Voraussetzungen mit. Es geht um viel Respekt, um Empathie und Verständnis, um Lernbereitschaft und unter Umständen auch um die nötige Resilienz, um sich selbst zu schützen. Auf der anderen Seite bringt jeder Mensch seine eigenen Fähigkeiten und Lebenserfahrungen mit – das sind oft große Bereicherungen für unsere Arbeit. Wir entscheiden dann zusammen, welche Tätigkeit passen könnte. Und auch hier tauschen wir uns im Pflegenetz aus bzw. vermitteln gegebenenfalls auch Bewerber*innen untereinander, sodass es am Ende möglichst für alle passt.

Was sind denn die Tätigkeiten?

In der Seniorenhilfe z.B. kauften manche im Lockdown für die eigenständig lebenden Senior*innen ein. Manche begleiten zum Arzt oder auch mal in die Stadt, oder bei kleinen Spaziergängen. Andere bieten Bastel- oder Spielnachmittage an. Die im Besuchsdienst treffen sich meist im Zimmer der Bewohner*innen, sind im Gespräch mit ihnen, hören zu. Gerade letzteres ist eine ganz wichtige Aufgabe. Auch am Empfang, in der Küche oder zur Vorbereitung von Veranstaltungen ist Hilfe gefragt.

Im Elisabeth Jaeger Haus haben wir seit kurzem ein Projekt in Zusammenarbeit mit der Landesmedienanstalt, das es interessierten älteren Menschen – bei uns Heimbewohner*innen und Mieter*innen im betreuten Wohnen – erleichtern soll, mit digitalen Medien wie Laptop, Tablet oder Smartphone umgehen zu können. Dieses Projekt DiBiWohn führt sozusagen ehrenamtlich Tätige, Bewohner*innen und Mieter*innen als Lehrende und Lernende zusammen.  

Bekommt das Ehrenamt Ihrer Meinung nach genug Wertschätzung?

Unserer Meinung nach fängt Wertschätzung damit an, dass man die Interessierten oder die Bewerber*innen entsprechend ihren Fähigkeiten einsetzt, sodass alle zufrieden sind und Freude an ihrem Engagement haben. Zudem scheint es wichtig, dass es in den Institutionen Koordinator*innen gibt, die Ansprechpersonen sind, die Ehrenamtlichen fachlich unterstützen und begleiten und auch mit gemeinschaftlichen Aktivitäten das Team wertschätzen.

Haben Sie hier auch Erwartungen an die Politik?

Grundsätzlich ist Ehrenamt auch eine Frage der Haltung – eine Herzenssache, die man mit Geld nicht aufwiegen kann. Als kleine finanzielle Wertschätzung hat die Landespolitik die Ehrenamtskarte ins Leben gerufen – damit kann man, wenn man mindestens fünf Stunden in der Woche für ein Ehrenamt erbringt, regionale Vergünstigungen bekommen. Also zum Beispiel im Museum, im Schwimmbad oder so. Was das ist, bestimmen die teilnehmenden Kommunen bzw. die Unternehmen vor Ort selbst. Um mehr Menschen gewinnen zu können, wären möglicherweise weitere Wertschätzungen denkbar – dies hat die Arbeitsgruppe Ehrenamt der Politik auch schon kommuniziert.

Woran denkt der Arbeitskreis Ehrenamt dabei?

Bezogen auf die existierende Ehrenamtskarte wäre es wünschenswert, wenn die Stadt und/oder der Kreis engagierter wäre. Gerade in der jetzigen Zeit wäre eine Ermäßigung beim ÖPNV oder ein zusätzlicher Steuerfreibetrag wertvoll. Dann, wie schon erwähnt, eine Freistellung vom Arbeitgeber für einige Stunden pro Monat für das Ehrenamt. Und gerade für junge Menschen könnte es ein Anreiz sein, wenn ehrenamtliche Tätigkeiten helfen würden, um einen Studienplatz oder ein Stipendium zu bekommen. Grundsätzlich könnten auch zusätzliche Rentenpunkte ein Anreiz sein. Um junge Menschen für das Ehrenamt gewinnen zu können, wäre es vielleicht auch überlegenswert, die mindestens abzuleistenden Wochenstunden deutlich zu reduzieren.

 

Diakonin Annette Stamke. Foto: Stiftung kreuznacher Diakonie, Sonja Unger Referat Unternehmenskommunikation

Diakonin Annette Stamke koordiniert – innerhalb des Pflegenetz Bad Kreuznach – die Arbeitsgruppe Ehrenamt.

Teilnehmende der Arbeitsgruppe Ehrenamt:
Pflegestützpunkt Bad Kreuznach, Christl. ambulanter Hospizdienst a. d. Nahe Bad Kreuznach, Eugenie Michels Hospiz Stiftung kreuznacher diakonie, „Hilfe für Pflegende“ Malteser Hilfsdienst e. v.,  Ehrenamtsbörse Bad Kreuznach, Elisabeth Jaeger Haus und Wohnpark Sophie Scholl Seniorenhilfe Stiftung kreuznacher diakonie, Kreisfrauen Sozialverband VdK, Betreuungsverein der Lebenshilfe e.V.)