Foto: Udo Foerster

Es war ein seltsamer Anblick! In einem wunderschönen Urlaubsgebiet in Deutschland hatten wir Quartier bekommen. Aber als ich morgens mit den Hunden durch die kleine Siedlung laufe, werde ich förmlich erschlagen. Mauern über Mauern, an jedem Grundstück hochgezogen, über-Manns-hoch. Aus Stein, aus Plastik, aus Holz- kein Einblick möglich, kein morgendlicher Gruß. Bedrohlich sah das aus, unwillkürlich fragte ich mich: welche Personen wohnen hier? 

Mir kam das junge Paar in den Sinn, dass ich in Köln getraut hatte. Die Frau hatte durch Knochenkrebs ein Bein verloren, ein wenig steif ging sie mit ihrer Prothese am Arm ihres Mannes zum Altar- drehte sich um, und sagte laut ihren selbst gewählten Trauspruch in die Kirche hinein: „Mit meinem Gott springe ich über Mauern“.

Als sie ihn mir im Traugespräch das erste Mal sagte, zuckte ich zusammen, dachte sofort: wie soll das gehen- so- mit einer Prothese? „Ganz einfach“, antwortete sie mir auf meine Frage: „ich habe so viele Mauern in meinem Leben erfahren nach der Diagnose. So vieles, was ich nicht mehr konnte, so vieles, was mir andere nicht zutrauten, so vieles, was ich mir selber nicht zutraute. Und dann fand ich Menschen, die mir Mut machten, und dann lernte ich meinen Mann kennen, der mich liebt, so wie ich bin. Ich habe erfahren: Vieles überwinde ich, wenn mir andere zur Seite stehen, für viel mehr ist es wichtig, dass ich mir selber das zutraue, mir selber Mut zu spreche. Und zu allem macht mir auch Gott Mut.

Mich hat diese junge Frau sehr beeindruckt- auch wie sie ihren Trauspruch laut in die Gemeinde sprach. Auch hier stutzten erst alle, aber dann standen sie auf und beklatschten das junge Paar.

Das Leben stellt uns immer wieder Mauern in den Weg. Manche ziehen wir selber hoch, wie in dem Urlaubsgebiet, und sperren uns so vom Leben und der Begegnung aus. Manche werden uns in den Weg gestellt durch das Leben. Wir können daran verzweifeln, wir können aber auch an ihnen wachsen, ja „hochwachsen!“ Gerade in Pflege und Krankheit ist es ja so, dass wir, wenn wir davorstehen, meinen, wie soll das gehen? Und dann geht es, wenn andere mithelfen, wenn Mut zugesprochen wird, wenn wir zusammenhalten, aber auch unsere Grenzen kennen und Hilfen annehmen. Wenn ein Weg nicht geht, dann vielleicht ein anderer, wenn ich es selber nicht schaffe, dann vielleicht ein anderer für mich, wenn ich es mir selber nicht zutraue, dann kann ich mich manchmal sogar selber überraschen.

Mit meinem Gott springe ich über Mauern (Psalm 18,30)! 

Nicht vor Mauern klein beizugeben- das habe ich von dieser jungen Frau gelernt. Ein Jahr später flatterte in meinen Briefkasten ein Brief von ihr mit einem Foto: da saß sie, ihr Mann neben ihr und in der Mitte ein kleines Baby, ihr Sohn- und hinten auf das Foto hatte sie geschrieben: „Ja, mit meinem Gott springe ich über Mauern!“

Einen guten Sommer mit manchem „Mauersprung“ wünscht
Ute Weiser, Ev. Kirchengemeinde Bad Kreuznach